Corona. Früher ein Bier, heute ein Wort, dessen negative Bedeutungsschwere noch lange nachhallen wird. Aber wie bei den meisten Dingen im Leben: Alles hat immer auch seine guten oder zumindest lehrreichen Seiten.
Die Pandemie sorgte zweifellos für einen gesellschaftlichen Zustand von bisher ungekanntem Stillstand und sozialer Distanz. Das war, und das ist es zum Teil ja noch immer, schlimm und bedrückend für die meisten von uns. Egal ob in der Rolle als Bürger dieses Staates, Angestellte in Unternehmen oder als Mitglied der eigenen Familie.
Für manche wurde es aber auch kurz nach dem ersten Lockdown ein wertvoller Moment des Innehaltens. Viele merkten: Hier passiert gerade etwas, das noch vor Kurzem absolut undenkbar war. Scheinbar alternativlose Gewohnheiten wurden plötzlich in Frage gestellt. Bisher un-bezweifelte Gewissheiten, Überzeugungen und liebgewonnene Routinen: Sie waren nicht mehr möglich oder für eine gewisse Zeit tatsächlich nicht mehr erlaubt.
Jeder ging irgendwie anders mit der Pandemie um, keine Frage. Hatten die einen plötzlich unverschuldet massive Existenzsorgen, hatten andere die Chance, ihre Existenz einer Art inneren Inventur zu unterziehen. Sie schauten auf ihr Leben, ihre Ziele und ihren Alltag und prüften unter Umständen sogar ihr Seelenleben. Nicht wenige entdeckten viel Unnützes, viel Ballast und überhaupt auch viel Chaos. Einfach viel zu viel von allem - im Inneren wie im Äußeren. Mit dem Ergebnis, dass einem die klare Sicht auf das hier und jetzt versperrt wird: Was ist eigentlich wesentlich, wichtig und richtig? Ist Corona nicht vielleicht eine deutliche Warnung und Chance, das eigene Leben zu entrümpeln wie eine unordentliche Wohnung?
Entrümpeln? Aufräumen? Ordnung schaffen? Das klingt doch verdächtig nach Marie Kondo. Das ist die Dame, nach der vor einigen Jahren die KonMari-Methode benannt wurden, für das "richtige" Aufräumen in den eigenen vier Wänden. Um mit mehr Ordnung im Äußeren auch mehr Ordnung im Inneren zu erreichen und sich somit mit mehr Klarheit, Glück und Zufriedenheit zu belohnen.
Aufräumen, aber systematisch! Das bedeutet zum Beispiel, alle Dinge einer Kategorie (z.B. Schuhe, Jacken oder Bücher) auf einen Haufen zu sammeln und sich bei jedem Teil zu fragen: Brauche ich das noch? Und eine weitere Frage: Macht mich dieses Teil wirklich glücklich? Versprüht es Glücksgefühle beim Anfassen? Diesen Grundsatz nannte sie wörtlich "Sparking Joy".
Lautet die ehrliche Antwort darauf "nein" heißt das: Weg damit! Oder aber bringt mir dieser Schuh oder jenes Buch tatsächlich ein Stück Glück? Dann kann und soll es bleiben. Es wird aber nicht wieder am gleichen Ort verstaut wie zuvor, sondern bekommt einen neuen und vor allem nun festen Platz. Letzteres, um die neu gewonnene Ordnung auch dauerhaft und nachhaltig zu sichern.
Eine Sonderstellung nimmt der sogenannte Kleinkram ein. Rheinländer würden es "Nippes" nennen, die Japaner sagen "Komono" dazu. An diesem Komono hängen nicht selten viele persönliche Erinnerungen und Emotionen, was das Ausmisten zu einer weiteren Herausforderung macht. Doch auch hier bleibt die Frage: Verbinde ich damit Glück? Ansonsten kommt es konsequent weg. Marie Kondo hat also das altbekannte Prinzip des "weniger ist mehr" verfeinert und mit neuen Handlungsanweisungen angereichert. Ich persönlich finde daran nichts wirklich "magisch", vielmehr ist es "einfach aber genial". Nennen wir es eine solide Strategie: Handfest, clever, schlüssig und auch Verhaltens-Psychologisch durchaus nachvollziehbar.
Vor allem der letzte Punkt spielt eine wertvolle Rolle, mit dem verbleibenden Besitz eine Quelle zu mehr Zufriedenheit zu gewinnen. Weniger ist also auch besser. Wenn es denn das Richtige ist, was man behält.
Zurück zum eingangs beschriebenen Corona-Moment. Ich als Marktforscher erlebe einen solchen ganz praktisch mit jedem neuen Kunden. Immer schon. Denn es ist stets zwingend, gemeinsam mit dem Kunden innezuhalten, um mit Sorgfalt und Ruhe den Status-Quo des Unternehmens zu analysieren, also eine Art Inventur durchzuführen.
Nehmen wir das Beispiel der im Marketing bekannten "Customer Journey", die wir mit verschiedenen Befragungs- und Beobachtungsmethoden sichtbar machen können. Der Punkt ist hier: Welche Touchpoints, d.h. welche Berührungspunkte der Zielgruppe mit einer Marke oder den Produkten sind identifizierbar? Also auch außerhalb des offensichtlichen Kaufvorganges. Wo gibt es z.B. ein Zusammentreffen von (potentiellen) Kunden mit dem Kundenservice oder mit anderen Mitarbeitern des Unternehmens? Wo treffen diese Kunden auf Bewertungen und Meinungen anderer Kunden oder auf Wiederverkäufer der Produkte? Wo und wann begegnen sie den diversen Werbe- und PR-Maßnahmen, egal ob offline oder online?
Um diese Fragen für die Kunden meiner Marktforschung zu beantworten, erhebe ich alle verfügbaren Informationen und lege diese im übertragenen Sinne genauso auf einen Haufen, um sie zusammen mit meinem Kunden zu bewerten: Welche Touchpoints gibt es denn überhaupt. Welche sind wichtig? Welche weniger wichtig? Welche Touchpoints machen das Unternehmen "glücklich", weil die Kunden sie offensichtlich suchen und diese für den erfolgreichen Verkauf der Produkte wichtig sind? Andere Touchpoints zahlen unter Umständen nur unzureichend auf die entsprechende Marke ein und sorgen insgesamt für eine schwächere Verkaufsperformance.
Was auch immer wir herausfinden: Nur diejenigen Stationen des Customer Journey's sollten behalten werden, die erfolgreich sind oder über ein ausreichendes Potential verfügen. Diesen gilt ab sofort alle Aufmerksamkeit - und auch Achtsamkeit. Zudem sollte unbedingt vermieden werden, dass das Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt erneut den Überblick über die konkrete "Reise" seiner Kunden verliert. Dafür muss man jedoch an den Zielgruppen dauerhaft "dranbleiben".
Als Marktforscher kommt es auf eine gute Über-Sicht und den richtigen Über-Blick an. Früher nannte man es auch die Spreu vom Weizen trennen. Was in meinem Fall als Marktforscher nichts anderes bedeutet, als in quantitativen wie qualitativen Studien den Zielgruppen meiner Kunden die richtigen Fragen zu stellen, um daraus langfristig gültige Antworten für alle Facetten der Kommunikation, des Vertriebs oder der Produktentwicklung herauszuarbeiten. Und eben alle nicht-wesentlichen, wenn nicht gar überflüssigen Maßnahmen als solche zu erkennen und auszumisten.
Was Marie Kondo vor gut zehn Jahren für das neue Wohnglück entdeckt hat, das praktiziere ich selbst seit 2004 mit meinem eigenen Marktforschungsinstitut. Ganz aktuell habe ich sogar ein Buch über ein ähnliches Prinzip geschrieben - über "Customer Centricity Mindset®". Auch hier geht es um die Konzentration auf das Wesentliche. In diesem Fall um die sogenannte "Persona", d.h. der individuelle Kunde. Ich stelle die Frage: "Wie und warum macht ein Unternehmen diesen EINEN Kunden glücklich?" Auf nichts anderes kommt es an und genau das sollte die Richtschnur allen unternehmerischen Handelns sein.
Zum Schluss noch ein Geständnis: Erst Corona hat mich dazu gebracht, die hier beschriebenen Ordnungs- und Bewertungsprinzipien auch in meinem privaten Leben anzuwenden. Und ganz ehrlich: Da hätte ich auch früher draufkommen können!
Herbert Höckel is a managing partner here at moweb research GmbH. He has been a market researcher for more than 25 years. In 2004 he founded moweb GmbH, which he is still the owner today. moweb from Düsseldorf operates internationally and is one of the first German market research institutes specializing in digital processes.