Lesen Sie hier die zweite Ausgabe der Kolumne aus der marktforschung.de - verfasst von moweb-Geschäftsführer Herbert Höckel.
Und wie gut, dass die erste Ausgabe von „Herberts Welt“ vor rund sechs Wochen ein Rückblick war und kein Ausblick auf dieses Jahr. Denn was er damals auch geschrieben hätte, es wäre aufgrund der aktuellen weltpolitischen Ereignisse wohl für die Tonne gewesen! Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, was für Luxusprobleme wir bis vor kurzem noch hatten.
Nach dem Jahrhundertdrama Corona erscheint nun mit dem Krieg in der Ukraine die klassischste aller Menschheitskatastrophen. Ein Krieg, in dem die Rollen von "Gut und Böse" ausnahmsweise von Beginn an sehr klar verteilt sind, was aber derzeit keinem nützt, da sich der Aggressor Russland zumindest bisher um die weltweite Verurteilung nicht wirklich geschert hat. Die gesamte Weltordnung ist aktuell dermaßen bedroht, das Leiden in der Ukraine bereits unfassbar groß sowie die Ängste und Sorgen vor allem in Europa so intensiv und greifbar – was soll ich also bitte an dieser Stelle über Marktforschung kolumnisieren?
Angesichts von inzwischen fast zwei Millionen Flüchtlingen gibt es fraglos Wichtigeres als ein Markforschungs-Panel zu befragen, ob der Schokoriegel mit Mandeln besser schmeckt. Überhaupt wirkt der Arbeitsalltag der vermutlich meisten Branchen gerade einfach nur banal und trivial im Angesicht des Leids und der Gefahren, die pausenlos über die Newsticker verbreitet werden.
Die vergangenen Tage führen uns mit aller Drastik vor Augen, was für Luxusprobleme wir bis vor kurzem noch hatten. Uns wird schmerzhaft bewusst, dass ohne Frieden und Freiheit alles einfach nichts ist.
Mit den Worten von Frieden und Freiheit könnte ich den Text an dieser Stelle eigentlich schon beenden und mich wieder dem Bangen und Hoffen widmen. Aber nein, so einfach mache ich es mir nicht – und Ihnen auch nicht! Denn bei jedem von uns sehe ich eine Verantwortung, bei Krisen dieser Dimension nicht einfach die Hände in den Schoß zu legen. Jeder kann etwas tun, und sei der Beitrag noch so klein. Zudem möchte ich an dieser Stelle an eine besondere Verantwortung von Meinungs- und Sozialforschenden erinnern.
Unsere Berufe drehen sich schon immer um Wertungen, Fakten und Wirklichkeit genauso wie um Objektivität und Neutralität gegenüber den Menschen, die wir befragen. Viele unserer Studien und Projekte beschäftigen sich mit sozialen Dynamiken, Entwicklungen, Abhängigkeiten und Interdependenzen. Und nicht zuletzt mit dem Spannungsfeld von sozialem Zusammenhalt auf der einen und Polarisierung oder gar Zerfall auf der anderen.
Wie heißt es doch immer so bitter-böse: Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Das gilt für alle vergangenen Kriege und auch für diesen: Fakten werden verdreht, frisiert und konstruiert. Es wird manipuliert, gelogen, verbogen und instrumentalisiert.
Schon jetzt sind objektive Tatsachen von interessensgesteuerter Propaganda nicht mehr zu unterscheiden. Wenn die ukrainische Seite von Verbrechen der Russen berichtet, antwortet die Gegenseite nur Minuten später mit dem glatten Gegenteil. Für Empfänger solcher Nachrichten ein schlicht unerträglicher Zustand - erodiert und zerstört dieser doch in kürzester Zeit alles Vertrauen in den Informationsfluss.
Grundsätzlich gilt das Problem für beide Seiten des Konfliktes. Auch die Regierung in Kiew muss sich genau überlegen, was sie kommuniziert. Welche Botschaften die eigene Bevölkerung beziehungsweise die internationale Gemeinschaft hören sollen. Es ist aber ein Unterschied, ob Putin den eigenen Bürgern Lügen, Propaganda und eine dreiste Geschichtsverfälschung auftischt, um diesen Angriffskrieg zu verklären. Oder ob die Angegriffenen mit dem Mute der Verzweiflung eine mit Sicherheit gelenkte Bild- und Informationsregie nutzen, die Kampfmoral und den Durchhaltewillen ihrer Leute aufrecht zu erhalten. Sowie das westliche Ausland mit moralischen Appellen unter Druck zu setzen.
Wann, wenn nicht jetzt, muss man aber konstatieren: Hier heiligt der Zweck die Mittel! An dieser Stelle keine Sympathie mit Präsident Selenskyj zu haben, wäre mir persönlich schon sehr unverständlich. Informierte Bürger wollen keinen Krieg, sie wollen Freiheit und Frieden!
Ich möchte meine Kolumne für einen emotionalen Appell an meine Branche nutzen. Wir können es uns nicht leisten, den Entwicklungen nur zuzuschauen und ab zu mal etwas Blau-gelbes hochzuhalten. Die kommenden drei Vorschläge sind als Impulse vermutlich zu idealistisch und blauäugig, und trotzdem: Was können wir in einer solchen Situation tun?
Als Profis für Meinungen und Tatsachen, Objektivität und Neutralität und als Kenner für die Gefahren von tendenziöser oder verfälschter Sprache identifizieren wir sicherlich schneller als andere, wenn Umfragen für Propagandazwecke missbraucht werden. Wenn also das russische Umfrageinstitut VCIOM verlautet, 68 Prozent der Russen unterstützen die "militärische Spezialoperation" (aus der ZEIT 10/22), dann sind schon allein wegen Putins unterjochter Rede -und Meinungsfreiheit große Zweifel angezeigt.
Unsere Aufgabe: Wir Forscher müssen mutiger werden und den Mund aufmachen! Nehmen wir uns die Propaganda aus Russland vor, entlarven sie und kommunizieren das auch nach außen. Spüren wir Aussagen mit klarer Tendenz zur Desinformation auf, müssen wir das öffentlich benennen, zum Beispiel über die Social-Media-Kanäle unserer Institute. Und warum nicht auch auf unseren privaten Profilen?
Unsere Kompetenz, verzerrte Meinungsbilder zu identifizieren, sollten wir also aktiv nutzen. Denn wenn von dieser Transparenz-Offensive auch nur ein Bruchteil die russische Bevölkerung erreicht wird, lohnt sich doch jeder Aufwand!
marktforschung.de hat bereits eine tolle Initiative gestartet: researchers4ukraine. Eine Plattform für Hilfsprojekte und Initiativen, um gebündelt darauf aufmerksam zu machen. "Mitmachen" sag ich da!
Vor allem in Krisenzeiten müssen wir noch mehr auf absolut saubere, seriöse und transparente Arbeit achten. Natürlich ist es derzeit kaum möglich, die Bürger in Russland persönlich vor Ort nach ihren Einstellungen und Urteilen zu befragen. Noch aber ist das Internet in Russland und der Ukraine zumindest in Teilen frei, diesen engen Korridor sollten wir solange nutzen wie das noch möglich ist.
Unsere Aufgabe: Etliche Institute verfügen standardmäßig über große Panels in beiden Konfliktländern. Lasst uns daher regelmäßig versuchen, auch in Russland das echte Meinungsbild zu ermitteln und mit diesen Daten die dortige Gesellschaft entsprechend aufzuklären.
Fragen wir die Menschen also: Was und wem glauben Sie? Was wissen Sie und vor allem: Was wissen Sie NICHT? Wovor haben Sie Angst, wie soll es weitergehen? Wir von moweb research haben mit den Kollegen von pollytix strategic research erst jüngst eine eigene Studie durchgeführt - über alle Alters- und Bildungsklassen sowie Regionen in Russland hinweg.
Einige zentrale Resultate sind:
Lasst uns menschlich und empathisch handeln! Jeder sollte sich informieren wie in der Ukraine, in den angrenzenden Fluchtländern oder in Deutschland geholfen werden kann. Ob mit Geld, Sachspenden, ehrenamtlichen Tätigkeiten, der Bereitstellung von Wohnraum oder wie auch immer.
Unsere Aufgabe: Jede eigene Aktivität ist super! Noch besser ist, das eigene Netzwerk zu aktivieren und zum Mitmachen aufzurufen. Vielleicht sogar selbst eine Initiative zu gründen oder Mitarbeiter für Hilfseinsätze freizustellen.
Um mit persönlichem Einsatz den betroffenen Menschen wieder ein Stück Würde und Normalität zurückzugeben. Einige Forschungs-Institute beschäftigen aktuell (noch) Mitarbeiter in den Krisengebieten. Auch diese nicht im Stich zu lassen, sollte selbstverständlich sein.
Nur eines von vielen vorbildlichen Engagements liefern die Kollegen von Dynata: Mit eigenen Teams organisieren sie bereits seit Tagen Transporte und Transfers unter anderem nach Ungarn und Rumänien und vermitteln sogar Unterkünfte sowie Jobs in andere EU-Länder. Davor ziehe ich meinen Hut!
Die ganze Kolumne klingt sicherlich sehr moraldurchtränkt. Aber was bleibt mir und uns denn übrig?! Wegschauen ist keine Option also sollten wir uns aktiv mit der Krise und vor allem den Menschen auseinandersetzen. So wie die Ukrainer sich mit dem Mute der Verzweiflung den Invasoren entgegenstellen, dürfen wir erst recht nicht resignieren, sondern müssen helfen wo wir können! Gerne konkret und handfest, nicht nur symbolisch mit der Flagge in der Hand.
Bleiben Sie positiv!
Ihr Herbert Höckel
Herbert Höckel is a managing partner here at moweb research GmbH. He has been a market researcher for more than 25 years. In 2004 he founded moweb GmbH, which he is still the owner today. moweb from Düsseldorf operates internationally and is one of the first German market research institutes specializing in digital processes.