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3. Mai 2024

Herberts Welt #13

Ausgabe Nummer 13 von Herberts Welt. Zuerst erschienen wie immer auf dem Branchenportal marktforschung.de

Das Mitfühlen und Mitdenken von Kundenwünschen und -Bedürfnissen sind die Grundbedingungen von guter Customer Experience (CX) - seit jeher ist dies DAS Thema von Herbert Höckel.

Was ist für CX elementar? Der konsequente Perspektivwechsel vom Anbieter- in die Kundenrolle. Oder anders: Das wirkliche Aufsetzen der Kundenbrille, die Aufnahme neuer Einsichten sowie die Operationalisierung des gewonnenen Wissens.

Warum das leichter gesagt ist als getan und warum CX vor allem im Business zwischen Unternehmen noch so stark in den Kinderschuhen steckt, lesen Sie hier in der folgenden Kolumne.

Viel Spaß beim Lesen!

B2B CX: Leider oft Keinebrille statt Kundenbrille!

Wenn ich nicht gerade in einem meiner beiden Institute tätig bin, präsentiere ich - als Speaker - regelmäßig auf Branchenevents meine Herzensthemen Customer Experience, Customer Centricity und Customer Journey. Oder um es in anderen - deutschen Worten - zu sagen: Warum es mehr denn je entscheidend ist, dass Unternehmen den Markt durch die Augen ihrer Kunden betrachten müssen. Meinem Publikum stelle ich dann gerne einige besonders faszinierende Beispiele aus der Praxis vor:

Kundenbrille und Wertschätzung in Perfektion: Die Firma LEGO.

Vom Zauber der kleinen Spielklötzchen war ein gewisser Jordan Schwarz derart begeistert, dass der High School-Schüler (!) aus den USA begann, seine kreativen Entwürfe online in einem Netzwerk namens AFOL (Adult Friends Of Lego) zu teilen und sich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen.

Was machte LEGO? Sofort erkannten sie den Wert dieses schöpferischen Kunden-Biotops und machten alles richtig: Zum einen rekrutierten sie Jordan direkt aus der Schule in ihr Design- und Entwicklungsteam ins dänische Billund. Dort kreierten sie ideas.lego.com – eine eigene Co-Creation-Plattform, über die seither Design-Vorschläge den Weg in die offiziellen Produktlinien finden - WENN sie denn mehr als 10.000 Likes gewinnen.

Was für eine sensationelle Chance für jeden LEGO-Fan, für gute Ideen anerkannt und nicht zuletzt sogar (reich) belohnt zu werden. Und auch für LEGO selbst, schließlich hat jedes neue Produkt aus dem "Fan-Labor" bereits vor der Einführung mindestens 10.000 potentielle Neukäufer!

Made by Tesla: Disruption und Reduktion von Prozessen.

Genau - Tesla, der Disruptor, der vom Fleck weg den bis dahin nervtötenden Konfigurations- und Bestellprozess revolutionierte. Mit glasklarer Kommunikation, starker Reduktion von Komplexität und stets Augen und Ohren auf die Wünsche der Kunden gerichtet. Auf diese Art hat es mit dem "Joe Mode" ein ausgefeilter Ruhemodus in die Software aller Modelle geschafft. Eben weil sich ein Kunde namens Joe 2019 damals noch auf Twitter (heute "X") über zu viele und zu laute Warntöne beschwerte, die regelmäßig seine Kinder weckten. Was machte Tesla daraus? Sie hörten hin, passten an und gaben ihren Kunden damit das Gefühl nie gekannter Selbstwirksamkeit!

… und Kunden honorieren Selbstwirksamkeit!

Natürliche Reaktion in meinem Publikum: Zustimmendes Nicken. Schließlich sind das Leuchttürme für gutes CX-Management. Doch welche erfolgreiche Firma kommt denn heute noch ohne Kundenbrille aus? Ist das nicht zumindest bei Marktführern längst Standard?!

Ja, das stimmt! Aber in Wahrheit leider nur für den Consumer-Bereich und eben nicht für Business-to-Business! Rückfrage in die anwesende Runde aus Entscheidern und Geschäftsführern: Wer hat denn schon mal online eine Turbine bei Siemens gekauft? Keiner? Glück gehabt! Oder machen wir es etwas kleiner: Was ist mit dem Kauf von Rohstoffen für Ihre Produktion oder neuen Fahrzeugen für den Fuhrpark? Und erinnern Sie sich noch an die "Anschaffungsprozesse" für Ihre aktuelle Werbeagentur, die letzte IT-Infrastruktur oder für den neuen Wartungsanbieter?

Das CX im B2B hinkt dem Niveau im Endkundengeschäft um Welten hinterher!

Mal ehrlich also: Wie war sie denn, Ihre Customer-Experience und die "Journey" bis zur Unterschrift? Hatte Ihr Lieferant tatsächlich Ihre Kundenbrille auf? Nun, sehr wahrscheinlich nicht. Denn leider ist das CX im B2C heutzutage dem B2B noch um Welten voraus. Und das obwohl bei Transaktionen zwischen Unternehmen der Wert des "Warenkorbs" um ein Vielfaches höher ist als bei der durchschnittlichen Amazon-Bestellung.

Was effektive Customer Experience in unserem privaten Alltag leisten soll, weiß jeder guter Marketer: Convenience, Schnelligkeit und ein möglichst günstiger Preis. Im B2B ist das ebenso relevant, nicht minder wichtig sind jedoch ein vertrauensvolles, langfristiges Verhältnis zum Einkäufer, transparente, ehrliche Kommunikation und die Etablierung von eingespielten, möglichst schlanken Strukturen. Somit spielen auch qualitative Faktoren wie zwischenmenschliche Normen eine große Rolle.

Wir brauchen im B2B-Umfeld eine bessere CX nicht trotz, sondern gerade wegen der höheren Komplexität der Produkte!

Mit dem Wert von Waren und -Dienstleistungen steigt immer auch deren Komplexität. Trotzdem sollte das nicht bedeuten, dass ich mich als Kunde mit wechselnden Ansprechpersonen, vielfach redundanten, zeitintensiven Prozessen, ausladender Bürokratie und oftmals mangelnder Flexibilität rumschlagen muss. Doch welcher Verkäufer macht sich im Vorfeld wirklich die Mühe, den echten Bedarf genauso wie die (budgetären) Grenzen des einkaufenden Unternehmens zu kennen und auch danach zu handeln?

Wie kann es also sein, dass wir noch am Abend (von zu Hause aus) jeden kommerziellen Anbieter gnadenlos abservieren, der uns nicht jeden Wunsch sofort von den Augen abliest, am nächsten Tag im Büro aber selbst den sprödesten Lieferanten (fast) klaglos akzeptieren?

Sicherlich liegt es an der Dynamik und Schnelligkeit im klassischen "B2C-Game", während die Business-Seite durch gewachsene Strukturen und offensichtlich noch (zu) vielen konservativ denkenden Menschen geprägt wird, die in den Unternehmen den Ein- und Verkauf kontrollieren.

Laut Pew-Research wird jedoch bereits nächstes Jahr 75% (!) der gesamten Workforce aus der Generation Y bestehen (geboren 1980 bis 1995). Mit der Übernahme des Kommandos im Tagesgeschäft wird diese aber nun auch im Job nicht weniger als "Instant-Gratification" erwarten - statt sich wie bisher ihre Vorgänger in Geduld mit einem Außendienst zu üben.

"Durch-digitalisierte" Manager-Generationen werden bald dominieren.

Im Gefolge der GenY (die sogenannten "Millenials") drängt auch schon die GenZ (geboren 1995 - 2010) in die Unternehmen. Beide Altersgruppen, also Y und Z zusammen, bestehen aus zutiefst digital gewöhnten und verwöhnten (!) Individuen, die als Privatkunden jahrelang mit meist perfekt austarierten Consumer-Erlebnissen sozialisiert wurden, nun aber als Manager ein derart rudimentäres CX im Berufsleben kaum akzeptieren werden. Ja, hier wird sich sehr bald einiges ändern.

Verkaufsprozesse im B2B stehen folglich vor der gleichen Transformation, die das B2C bereits seit 15 oder 20 Jahren durchläuft: Die Konfiguration aller Unternehmensprozesse zur konsequenten Kundenperspektive und weg vom Fokus auf das Produkt. Es gilt, den Zielgruppen den maximalen Mehrwert anzubieten und zwar für den GANZEN Lebenszyklus.

Das Mittel der Wahl auch im B2B: Der NPS!

Zwischenruf aus meinem Publikum: Wie mit dieser Transformation am besten anfangen? Meine Antwort: Starten Sie mit dem NPS, dem Net Promotor Score. Der beste Indikator zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit und effektives Werkzeug für erfolgreiches CX-Management.

Klar ist, die Mechanismen wirken im B2B nicht anders als im B2C: Zum Beispiel, dass Kunden ihre negativen Erfahrungen wesentlich öfter kundtun als positive Urteile. Oder dass konstruktive Kritik leider nur selten oder gar nicht (!) mit dem Anbieter geteilt wird. Hier hilft folglich nur proaktives Nachforschen. Und speziell zum NPS: Auch bei Geschäftskunden lassen sich trennscharf die Kategorien Promoter, Indifferente und Detraktoren identifizieren. Plus die entscheidenden Fragen: WARUM bewerten jene Kunden das Produkt so kritisch? Wie die Detraktoren im Score verbessern? Was müssen wir also tun, damit aus einer destruktiven "6" eine weiterempfehlende "9" wird?

Die Arbeit mit dem NPS zwingt zum konsequenten Aufsetzen der Kundenbrille, legt wichtige Potentiale offen und ermöglicht kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Als Marktforscher weiß ich jedoch aus der Praxis, dass selbst das beste Tool schnell an seine Grenzen stößt, wenn das Top-Management nicht von Anfang an eingebunden ist und vor allem die nötige Geduld mitbringt. Zudem rate ich zu "CX-Gremien", um den neuen Blick auf die Kunden auch organisatorisch zu verankern.

Kurz zurück zu Jordan Schwarz und den Lehren aus dem "Joe Mode":

Stellen wir uns nun vor, der ältere Jordan interessiert sich nicht mehr für die bunten LEGO-Steinchen, sondern für die großen Turbinen von Siemens. Wie wichtig wäre es dann, wenn auch ein solcher Industrieriese seinen ganz eigenen Joe Mode aktiviert?! Denn sonst werden die kommenden Manager-Generationen sogar solche Anbieter knallhart aus ihrem "Relevant-Set" streichen.

Also endlich KUNDENbrille im B2B, bitte!

Sicher ist: Der Geschäftskundenbereich kann sich seinen bisherigen "Blindflug" nicht mehr lange leisten. Für ein radikales Umdenken wird es höchste Zeit!


Herbert Höckel

Herbert Höckel ist geschäftsführender Gesellschafter hier bei bei der moweb research GmbH. Seit mehr als 25 Jahren ist er Marktforscher. 2004 gründete er die moweb GmbH, welche er bis heute als Inhaber führt. Die moweb aus Düsseldorf ist international tätig und eines der ersten deutschen, auf digitale Verfahren spezialisierte Marktforschungsinstitute.

Gerne können Sie sein Buch "Customer Centricity Mindset ® - Kunden wirklich verstehen, Disruption erfolgreich meistern" hier erwerben.

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