Die folgenden Zeilen von moweb-Geschäftsführer Herbert Höckel stammen aus der regelmäßigen Kolumne der marktforschung.de. Für die Leser des Fachmagazins sollen sie die Perspektive auf die Marktforschungswelt erweitern, sie sollen inspirieren und natürlich auch unterhalten.
Zu Beginn von "Herberts Welt" wirft er einen Rückblick auf ein durchaus spannendes und ereignisreiches 2021. Dabei geht es von erfreulichen Entwicklungen in der Marktforschung trotz Krisenzeiten bis hin zu dem Skandal der manipulierten Umfragen in Österreich.
Genauer gesagt: Ich starte beim österreichischen Jung-Alt-Ex-Kanzler Sebastian Kurz und der Rolle der Demoskopen bei dem Skandal des letzten Jahres. Über den längst bekannten Sumpf aus Politik, Medien und Wirtschaft lasse ich mich jetzt nicht aus. Keinen halbwegs interessierten Kenner der politischen Epizentren kann das heute noch überraschen. Und dass einzelne, moral-befreite Mandatsträger überall auf der Welt Umfragen manipulieren, um sie zu ihren Zwecken zu missbrauchen? Geschenkt. Die Welt ist ein böser Ort.
Aber was ganz konkret in der Alpenrepublik im vergangenen Jahr passiert ist, das hat mich dann doch schockiert. Steuergelder für manipulierte Umfragen zu veruntreuen, um diese dann in Medien zu veröffentlichen, die ebenso Teil der Seilschaft waren?! Wow! Noch schwerer aber ist es zu verdauen, dass sich Marktforschungsinstitute dafür hergeben, schlichtweg korrupt zu handeln und sich vor den Karren machtgeiler Politiker spannen lassen.
Eine in 2016 für 155.000 Euro durchgeführte Studie nebst Personifizierung hat ergeben, dass Kanzler Kurz wohl am ehesten einem Delfin bzw. einem Eichhörnchen gleicht. Mir persönlich aber erscheint Fuchs wohl treffender. (Lesen Sie hierzu auch: Gib mir Tiernamen!)
Zur Erinnerung: Der Verband der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreichs, der VdMI, wirft gleich nach Bekanntwerden des beschriebenen Skandals öffentlichkeitswirksam das Wiener Umfrage-Institut OGM aus seinen Reihen. Warum: Weil es die regelmäßige "Sonntagsfrage" für Österreich mit einem reinen Online-Sample erhoben hat - statt im Mixed-Mode-Verfahren, wie es der VdMI in seinen Statuten verlangt.
Man macht also einen "Fehler" und wird sofort aus dem Dorf verjagt? Ernsthaft??? Also Klartext: Die Marktforschungs-Branche erleidet in der Kurz-Affäre einen katastrophalen Imageschaden und beim erstbesten "Vergehen" eines seriösen Instituts wird in den Wochen danach gleich ein Exempel statuiert. Ohne Verwarnung, ohne Anhörung, ohne Alles. Klingt für mich nach einer rein politischen Entscheidung und vor allem als viel zu hart. Wieso hat der Verband den OGM-Chef Wolfgang Bachmayer nicht erst einmal dazu aufgefordert, in Ruhe und sachlich zu begründen, wieso er tat was er tat?
Bachmayer gilt in Österreich schon lange als Vorreiter moderner Marktforschung und hat an der Gestaltung des heute etablierten Mixed-Mode-Verfahrens maßgeblich mitgearbeitet. Inzwischen beklagt er zurecht, wie ich finde, dass es gute Gründe für seine Entscheidung gibt und gab. Niemand muss zwingend seine Meinung teilen aber was soll diese gnadenlose Art des Verbandes? Ein Zeichen an die übrigen Mitglieder? Wer ausschert fliegt? Reiner Protektionismus? Ein Schelm, der Böses dabei denkt…
Auch angesichts der pandemisch disruptierten neuen Gesellschaftsordnung stellt sich mir die Frage:
„Wie denn, wenn nicht online, soll unsere Branche heute bzw. in Zukunft noch repräsentative Erhebungen zustande bringen, wenn es immer weniger Haushalte mit Festnetzanschlüssen gibt und die Bereitschaft, sich persönlich befragen zu lassen immer weiter schwindet?“
Da wurde es ja im September verdammt knapp. Zwar gab es am Ende einen neuen Wahl-gewinner aber noch vor ein paar Jahren hätten sich beide "Volksparteien" für solche Zahlen kindhaft die Hände vors Gesicht geschlagen und gehofft, dass sie keiner sieht und findet. Einen wahren Sieger gabs für mich dennoch: Die wahlforschenden Institute!
Nach Jahren mit teils erheblichen Fehl-Prognosen, viel Häme und Zweifel waren die meisten Demoskopen 2021 fast schon furchterregend nah am tatsächlichen Ergebnis. Und das obwohl der Wahlkampf mit der Corona-Krise sowie den Auswirkungen der Flutkatastrophe durch zwei wirkmächtige Sonderfaktoren begleitet wurden. Ein Alptraum für alle Prognoseprofis.
Daher erst recht ein dickes Lob von mir für die Kollegen im Lande. Aus den Fehlern der Vergangenheit wurde offensichtlich gelernt und es ist schön zu sehen, dass die heimische Wahlforschung so gut und zuverlässig funktioniert.
Gab es zu Beginn von 2021 tendenziell zu wenige Veranstaltungen in der deutschen Marktforschungs-Szene? Nicht wirklich! Events, Initiativen und Impulse noch und nöcher! Nur unsere so sehr geliebte Research&Results hat Corona leider nicht überlebt und die Segel gestrichen.
Ganz im Kontrast dazu gab es aber zum Jahresende eine absolut sinnvolle Konsolidierung und einen sicherlich würdigen Nachfolger in der Königsklasse unserer Branchenevents. Denn der Betreiber von marktforschung.de, die Smart News Fachverlag GmbH (SNFV), ist als Gesellschafter bei der Succeet eingestiegen. Im wahrsten Sinne ein "smarter" Schachzug. Und das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich NICHT zum Zwecke des Einschleimens. Ich weiß, klingt trotzdem parteiisch, aber was solls! Ich find’ sinnvoll und zukunftsträchtig.
Große redaktionelle Reichweite verbündet sich nun mit hohem organisatorischem Talent. Ihre Schlagkraft kann das neue Powerhouse gleich unter Beweis stellen. Im Frühjahr bei der hybriden "Woche der Marktforschung" und auf jeden Fall bei der succeet22 im Herbst! Meine Meinung ist schon mal klar: Top! Wir sind dabei!
Muss unsere Marktforschungs-Branche denn überhaupt Angst haben vor der Zukunft? Vor Digitalisierung, Wirtschaftskrisen, politischen Verwerfungen oder einer endlosen Pandemie? Klares Nein! All die genannten Krisen-Erscheinungen schocken uns seit gut zwei Jahren, trotzdem hat sich unser Wirtschaftszweig den Widerständen gestellt und sich weiter-entwickelt. Das nennt man wohl Resilienz. Bester Beleg dafür: Diverse Übernahmen – z.B. Gapfish durch Cint, Respondi durch Bilendi, Link durch YouGov und allen voran Lucid durch Cint. Letztere sogar auf "Unicorn-Niveau", denn die Milliarden-Hürde wurde überschritten. Das ist nur EIN Indikator von vielen, wie sehr unser Arbeitsgebiet derzeit geschätzt wird. Damit meine ich vor allem unsere Umfrage-, Daten- und Analyse-Expertise sowie unsere Beratungskompetenz.
Ich gehe übrigens davon aus, dass die Welle an Übernahmen und Zusammenschlüssen noch lange nicht zu Ende ist. Wobei wachsende oder dominierende Markt-Player immer auch eine weitere Entwicklung anstoßen. Will sagen: Es dauert in der Regel nicht lange, bis talentierte und ehrgeizige Nachwuchs-Forscher aus zu großen und unbeweglichen Strukturen ausbrechen und ihrerseits Start-Ups gründen. Die dann Marktnischen besetzen, echte Innovationen hervorbringen und alte Konventionen über den Haufen werfen. Klingt nach rebellischem Verhalten? Auch das find' ich gut!
Gerade habe ich uns Marktforscher noch gelobt, von wegen Widerstandsfähigkeit und so. Trotzdem (oder gerade deswegen?) hier etwas Wasser in den Wein. Denn leider verhält sich Resilienz nicht selten so flüchtig wie ein scheues Reh: Kaum freut man sich über die Erscheinung, läuft es auch schon wieder weg. Deswegen gilt: Immer dynamisch bleiben und nicht stehenbleiben. Die Welt verändert sich beständig, also müssen wir das auch.
"Weiter, immer weiter!" sagte ja auch schon Oliver Kahn. Und der muss es ja wissen.
Bleiben Sie also beweglich!
Zur Original-Kolumne auf der marktforschung.de geht's hier!
Herbert Höckel ist geschäftsführender Gesellschafter hier bei bei der moweb research GmbH. Seit mehr als 25 Jahren ist er Marktforscher. 2004 gründete er die moweb GmbH, welche er bis heute als Inhaber führt. Die moweb aus Düsseldorf ist international tätig und eines der ersten deutschen, auf digitale Verfahren spezialisierte Marktforschungsinstitute.