Der Kunde ist König. Egal ob es sich dabei um B2B-Kunden oder Endkunden handelt. Man agiert immer mit Menschen, deren Bedürfnisse ernst genommen und ins Zentrum der eigenen Bemühungen gestellt werden müssen; auch oder gerade, wenn sie im Auftrag ihres Arbeitgebers "einkaufen".
Das Konzept Customer Experience (CX) – also Investitionen in bessere Kundenerlebnisse durch mehr Empathie, Verständnis sowie bessere Führung und Behandlung dieser Kunden – darf man im Marketing wohl inzwischen als weitgehend etabliertes Konzept bezeichnen. Allgemein anerkannt ist der positive Einfluss auf Umsatz, Gewinn und langfristige Kundenbindung.
Das gilt zumindest für B2C; aber auch für den B2B-Bereich? Auch dort agieren natürlich Menschen als Verkäufer mit Menschen als Einkäufern. Wir sprechen hier von Personen, die nach Feierabend ihre professionelle Rolle verlassen und dann – wie die meisten von uns – in die Rolle des Endkunden schlüpfen. Als solche tauchen sie dann nicht selten in ausgefeilte "Customer Journeys" (Kundenreisen) ein, d.h. in nahezu perfekte Einkaufserlebnisse, wie sie die erfolgreichen B2C-Titanen Amazon & Co. heutzutage erschaffen.
Der B2C-Kunde wird aber nicht weniger anspruchsvoll, wenn er tags darauf wieder in seine berufliche Position wechselt. Das bedeutet, dass er auch im professionellen Umfeld ernst genommen und auf eine ebenso optimierte Kundenreise mitgenommen werden möchte. Und sollte er das nicht schon deswegen erwarten dürfen, weil es in der Regel um viel höhere Einkaufssummen geht?
Soweit die Theorie. Doch die Praxis sieht anders aus. Laut zwei Untersuchungen von McKinsey & Company sowie von Adobe wird im B2B-Umfeld noch wesentlich weniger in die Verbesserung der Kundenerfahrungen und -erlebnisse investiert als im B2C. Und das, obwohl CX ein deutlich positiver Einfluss auf Kundenbindung und sogar Gewinn nachgewiesen werden kann.
Stellt sich die Frage: Wieso ist das so? Gehen Unternehmen bei ihren professionellen Firmenkunden davon aus, dass sie weniger anspruchsvoll sind als ihr B2C-Pendant? Dass ein Unternehmens-Einkäufer also anders tickt, grundsätzlich mehr rational, weniger emotional?
Vorab erst einmal die Eingrenzung, über welche der unendlichen B2B-Konstellationen ich in diesem Artikel überhaupt sprechen möchte: Mit "Verkäufern" meine ich z.B. die Anbieter von Vorprodukten, die ihre Güter an Unternehmen verkaufen, die daraus ein neues Vor- oder Endprodukt herstellen. Ebenso über professionelle Dienstleister, die ihre immateriellen Güter (z.B. Beratungsleistungen, Marktforschung oder Eventdienstleistungen) an Unternehmen vermarkten.
Im Unterschied zu Endkunden-Massen-Märkten, auf die die Maßnahmen der Customer Experience bisher vor allem zugeschnitten wurden, ist im B2B-Segment schon allein die Zahl der Kunden bzw. Einkäufer wesentlich kleiner. Zudem herrschen in der Regel gewisse gegenseitige, wirtschaftliche Abhängigkeiten. Den aber wohl größten Unterschied unterstelle ich der Person des Kunden: Im B2C geht der Privatkunde aus eigenem Antrieb in seiner Freizeit auf Shoppingtour. Im Business-Umfeld sprechen wir jedoch vom professionellen Einkäufer oder ganzen Abteilungen, die die Aufgabe für das Unternehmen erfüllen. Sind die Firmen kleiner, erledigen das z.B. die Inhaber oder Geschäftsführer.
Wer sich nun entscheidet, in ein besseres B2B-Customer Experience zu investieren, kann von den Lehren aus den Endkunden-Märkten zwar durchaus profitieren –im Detail muss aber den unterschiedlichen Voraussetzungen und Einkaufsphasen Rechnung getragen werden.
Dabei haben wir sechs Erfolgsfaktoren identifiziert, um anspruchsvoller werdenden B2B-Kunden ein besseres Kundenerlebnis zu verschaffen:
Welcher Einkäufer verfügt schon über zu viel Zeit? Eine schnelle Kaufabwicklung und Lieferung sind also Trumpf. Beispiele wie man mehr Tempo in die Prozesse bekommt: z.B. eine Online-Plattform, die 24/7 verfügbar ist und alle Abwicklungsfunktionen von der Bestellung bis zur Bezahlung nahtlos vereint. Ebenso sind genügend und qualifizierte Mitarbeiter wichtig, die proaktiv Probleme angehen sowie Kundenfragen oder -beschwerden möglichst in Echtzeit bearbeiten und beantworten.
Der Kaufprozess muss unkompliziert, präzise und intuitiv sein. In sämtlichen Phasen! Also Prozesse ohne unnötige Reibungen, Unterbrechungen und natürlich benutzerfreundlich. Online wie offline.
Auf welche Personen, Abteilungen, Botschaften oder Medien die Einkäufer beim anbietenden Unternehmen auch treffen, bei jedem dieser Kontakte sollten sich Inhalte, Stile, äußere Erscheinung und Aufmachung entsprechen (auf jene Kontakte, die sogenannten "Touchpoints", komme ich später noch ausführlicher zu sprechen). Ebenso sollten alle Verkaufs- und Gesprächskanäle ohne Brüche miteinander verbunden sein, egal ob der Kunde den Webshop besucht oder per E-Mail, Telefon oder persönlich mit dem Verkäufer korrespondiert.
Was ist für den Einkäufer tatsächlich wichtig? Dafür müssen diese analysiert, befragt und beobachtet werden. Wobei jeder Kunde individuell anders tickt: Mit eigenen Erwartungen, Wünschen, Bedürfnissen und auch Erfahrungen mit anderen Verkäufern, positive wie negative. Um Relevanz geht es auch in der Ansprache und der Informationsbereitstellung sowie bei der Ausgestaltung der Produkte bzw. der Tiefe und Breite von Dienstleistungen. Nicht zuletzt beim Versand und auch beim After-Sales. Überall die gleiche Frage: Was verlangt und schätzt der Kunde? Und ebenso: Was kann weg?!
Offenheit beugt falschen Erwartungen und Enttäuschungen vor und sorgt stattdessen für notwendiges Vertrauen – die Schlüsselwährung bei jeder Interaktion zwischen Kunde und Verkäufer. Natürlich sollte man immer auf die Aussagen des Verkäufers zählen können: Hält das Produkt, was es verspricht? Gibt es versteckte Kosten? Was passiert, wenn Mängel auftauchen und Nachbesserungen nötig werden? Ist der Versand zuverlässig? Bleibt die Qualität auch bei langfristigen Engagements stabil?
Selbst ein Einkäufer ist eine Person mit Emotionen, egal wie professionell der Mensch oder das Unternehmen dahinter erscheinen mag. Dementsprechend ist jeder Kunde (mehr oder weniger) empfänglich für persönliche Nachrichten, Begrüßungen, Überraschungen oder sonstige Aktionen, die die Beziehungsebene positiv stärken können. Der Verkäufer sollte sich also im besten Sinne um den Menschen "kümmern", d.h. sich auch mal Zeit nehmen und zuhören. So entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis, das auch in Zeiten von Krisen tragfähig bleibt.
In meinem Buch "Customer Centricity Mindset" beschreibe ich unter anderem, wie Unternehmen in Zeiten rasanter Veränderungen und Markt-Disruptionen mit klugen Maßnahmen ihre Kundenbeziehungen trotzdem erfolgreich gestalten können - auch durch mehr Investitionen in die Customer Experience.
Speziell den individuellen Kunden – die Persona – nehme ich dafür besonders ins Visier. Ebenso die Potentiale, die sich aus der "Customer Journey" sowie der Analyse von "Touchpoints" ergeben.
Alle Abschnitte im Buch konzentrieren sich auf den Konsumentenbereich. Dass im B2B-Segment aber nicht alles anders ist, zeige ich im weiteren Verlauf dieses Artikels. Ebenso die Differenzen zwischen beiden Sphären, wie also professionelle Einkäufer anders betreut werden sollten als private Kunden.
Zwar steht hinter dem Einkäufer ein Unternehmen, doch ist deswegen die handelnde Person kein Neutrum, sondern genauso ein Subjekt mit eigener Soziodemografie (z.B. Geschlecht, Alter und Schulbildung) sowie ein Individuum mit eigenen Einstellungen, Verhaltensmustern, Werten, Vorlieben und Abneigungen.
Wie auch für Endkunden-Märkte empfehle ich Ihnen, die Kunden nicht als Gruppe zu denken und zusammenzufassen, sondern als Personas. D.h. als einzelne Nutzer, in die Sie sich empathisch hineinversetzen können. Vorausgesetzt die Einkäufer eines Unternehmens wechseln nicht ständig, lohnt es sich, diese auch wirklich kennenzulernen. Als Kunden mit Namen, familiärer Situation, Hobbies und allem, was ein Individuum letztlich ausmacht. Der Vorteil: Sie erfahren genau, mit wem Sie es zu tun haben. Sie können besser einschätzen, was diese Person von Ihnen als Ansprechpartner und Lieferant erwartet und wünscht. Mit dem Wissen über die Persona können Sie Ihre Vermarktung und Kommunikation nach dieser ausrichten. Das erscheint im B2B auch einfacher als im B2C, da aufgrund der geringeren Anzahl von Kunden ein echter Beziehungsaufbau tatsächlich möglich ist. Außerdem: Welchen Nutzen erfüllt Ihr Produkt beim einkaufenden Unternehmen? Ist es ein Vorprodukt für etwas größeres? Oder unterstützt es interne Prozesse? Für was setzt der Einkäufer mein Produkt konkret ein? Wissen Sie das wirklich für alle Fälle ausreichend genau?
Alles Fragen, die die sogenannte "User Story" des Einkäufers in den Fokus nehmen und helfen, diese Person (noch) besser zu verstehen. Damit das anbietende Unternehmen den Vertrieb, das Marketing sowie die Gestaltung der Produkte und die Verkaufsprozesse zielgenauer gestalten können.
"Reise" klingt etwas romantisiert, aber für den Kunden ist es tatsächlich entscheidend, wie diese Reise verläuft und ob sie zügig, effektiv und zufriedenstellend genug ist, um bis zum Ende – dem Produktkauf – dabei zu bleiben.
Wie jede gute Reise besteht sie aus mehreren spannenden Stationen, die wir in der Customer Journey "Touchpoints" nennen. Das können sein: die Website des Anbieters, sämtliche Telefongespräche und E-Mail-Kontakte, schriftliche Angebote, eine mögliche Produkt-Testphase, der eigentliche Kauf, After-Sales-Aktionen oder auch nachgelagerte Service-Leistungen.
Diese und noch viele weitere Stationen sind Berührungs- oder Begegnungspunkte des Einkäufers mit dem Verkäufer. Woraus sich wichtige Fragen ergeben: Wo und wie können Sie es für den Kunden noch leichter, angenehmer, effizienter und zufriedenstellender machen? Wo stecken Potentiale zur Verbesserung des Kundenerlebnisses?
Es gibt auch indirekte Touchpoints. Das können als Beispiel die Meinungen Dritter sein, unter anderem Bewertungsportale oder andere Kunden-Unternehmen, die das Produkt bereits kennen und von denen der Einkäufer Empfehlungen erhält. Der Einfluss auf diese Kontakt- und Informationsquellen ist zwar beschränkt, Wirkung auf das Kundenerlebnis haben sie aber dennoch.
Die klassische Customer Journey im B2C kennt fünf Meilensteine, die ein Kunde in der Regel durchläuft: Ein Produkt überhaupt erst mal wahrzunehmen (Know), es in Erwägung zu ziehen (Want), die Kaufentscheidung zu treffen (Try), es zu erwerben (Buy) und letztlich zum Stammkunden oder sogar zum freiwilligen Botschafter der Marke zu werden (Love).
Dieser Kauf-Prozess läuft im B2B ähnlich ab, obwohl man die letzte Stufe, wenn der professionelle Einkäufer sich dauerhaft für einen Anbieter entscheidet, wohl eher nicht "Love" nennen würde.
Erneut fordert ein wirkliches Customer Centricity Mindset empathische Arbeit für alle genannten Meilensteine: Wie erlebt die Person des Einkäufers die Stufen ganz persönlich? Wird es ihr immer so angenehm, flüssig und komfortabel wie möglich gemacht? Werden potentielle Probleme und Irritationen vorausschauend vermieden, Wünsche, Bedürfnisse und Notwendigkeiten frühzeitig erkannt? Werden die Kommunikation, Leistungsprozesse, Produktstrategien und der Service daran ausgerichtet?
Grundsätzlich erfordern diese Fragen den professionellen Einsatz von Marktforschern. Zumindest für erste wertvolle Insights reichen aber bereits einfache Methoden aus der betrieblichen Marktforschung bzw. Techniken aus dem "Do It Yourself" (DIY). Hier einige Beispiele:
Holen Sie sich Ihre Kunden an den Tisch, um mit ihnen über deren Probleme, Wünsche und Bedürfnisse zu diskutieren. Eventuell reichen schon mehrere kleine, intime Runden von Einkäufern (aus nicht konkurrierenden Unternehmen), deren Gespräche Sie beobachten und auswerten können.
Mysteriös ist an diesem Shopping im Grunde nichts, geht es doch nur darum, dass dritte Personen oder Sie selbst (anonym) die eigenen Produkte erwerben – am besten über alle angebotenen Kanäle hinweg. Gegebenenfalls kreieren Sie auch absichtlich bestimmte Problem-Szenarien, die Sie aus Ihrem Vertriebsalltag schon kennen. Eine gute Gelegenheit, Ihre Mitarbeiter auch für den schwierigen Kundenkontakt zu schulen.
Es gibt viele Beispiele für Experimente: Teilen Sie z.B. Ihre Zielgruppen in vergleichbare Segmente auf und versenden unterschiedliche Newsletter mit verschiedenen Ansprachen, Inhalten und Stilen. Oder lassen Sie doch verschiedene Angebotsdokumente zum Einsatz kommen. Auch die Lenkung der Kunden auf zwei oder mehr unterschiedliche Webseiten kann spannende Ergebnisse über deren Funktionalität und Attraktivität liefern. Vergleichen Sie für alle Maßnahmen nach Ablauf der Versuchsperiode die Ergebnisse: Was war und wirkte am effektivsten?
Versuchen Sie alles, um Ihre Kunden z.B. per Fragebogen zum Reden bzw. Schreiben zu bringen. Sagen Sie ihnen dabei offen und ehrlich, was Sie herausfinden wollen. Kommunizieren Sie ohne Umschweife, dass Sie mit den Antworten deren Einkaufserlebnis verbessern möchten.
Auf halber Strecke von DIY zu vollumfänglicher externer Marktforschung liegt die Methode des "Do it Together". Hier arbeiten Sie mit Ihrem Marktforscher zusammen. Aber nicht im klassischen Dienstleistungsverhältnis, sondern auf Augenhöhe. So nutzen Sie zum Beispiel in Eigenregie ein Saas-Tool für die Umsetzung der Befragung, konzipieren und interpretieren aber die Studie bzw. die Ergebnisse gemeinsam.
Grundsätzlich funktioniert DIT, wenn kompetente Mitarbeiter eines Unternehmens für ihr betriebliches Forschungsprojekt die Research-Leistungen anlassbezogen von Profis hinzukaufen – wie aus einem modularen Leistungskatalog.
Ich beende diesen Artikel mit einem kleinen Goodie für Sie: Dem kostenlosen Zugang zum Customer Centricity Score. Nehmen Sie sich dafür zehn Minuten Zeit und finden heraus, wie nah Sie derzeit wirklich an Ihrem Kunden sind. Ob Ihr Unternehmen tatsächlich ein Customer Centricity Mindset zeigt. Und falls nicht, an welchen Schrauben Sie drehen können.
Sollte der Score Ihre sicherlich hohen Erwartungen bereits erfüllen, dann legen Sie sich dieses Analyse-Tool trotzdem auf baldige Wiedervorlage. Denn die Welt da draußen dreht sich weiter – und zwar immer schneller. Was heute also richtig und ausreichend erscheint, kann schon morgen von gestern sein.
Herbert Höckel ist geschäftsführender Gesellschafter hier bei bei der moweb research GmbH. Seit mehr als 25 Jahren ist er Marktforscher. 2004 gründete er die moweb GmbH, welche er bis heute als Inhaber führt. Die moweb aus Düsseldorf ist international tätig und eines der ersten deutschen, auf digitale Verfahren spezialisierte Marktforschungsinstitute.